Mittwoch, 3. Dezember 2014

"Respekt, aber..." - Bikebergsteigen in Zermatt (Nachbericht)

"Respekt, aber... WIESO macht ihr das?!"
Dieser Frage haben sich wahrscheinlich schon viele Bergsteiger, Kletterer und andere Extremsportler stellen müssen. Und es ist immer das gleiche: Man sucht nach einer Begründung und muss dann verwirrt feststellen, das man es eigentlich selber nicht erklären kann. Also beschließt man, diese Frage in Zukunft möglichst zu meiden, was dann meistens auch ganz gut klappt. Meistens.
Im August mussten wir uns während einer zweitägigen Tour im Wallis dieser Frage grob geschätzte vierzig mal stellen. Okay, ich gebe zu wir haben auch etwas provoziert, schließlich sieht man es nicht all zu oft, dass zwei Verrückte ihre Mountainbikes 2000 Höhenmeter auf dem Rücken tragen...

Das Wallis lockt nicht nur Bergsteiger, sondern auch Mountainbiker.

Dabei ist das in der Randsportart Bikebergsteigen (BBS) durchaus legitim und üblich. Diese Form des Bergsteigens ist quasi das Skitouren gehen des Sommers: Man trägt statt der Ski ein Mountainbike den Berg hinauf, da die Wege - Wanderwege, Pfade und Steige - in aller Regel zu steil und zu uneben zum fahren sind. Ziel ist vor allem die Abfahrt über diese Wege, die extrem anspruchsvoll ist und mit sportlicher Herausforderung und natürlich jede Menge Spaß für die Strapazen des Aufstiegs entschädigt. Aber auch der Gipfel ist Ziel beim Bikebergsteigen, wodurch sich dieser Sport, abgesehen vom Tragen, vom klassischen Mountainbiken abgrenzt.

Zermatt bietet nun mit einigen der höchsten gletscherfreien Wanderbergen der Schweiz auch einige Herausforderungen für Bikebergsteiger. Immerhin reichen diese Ziele fast bis zu dreieinhalbtauend Meter hoch in den Himmel auf. Die fantastische Bergwelt mit einigen der höchsten Viertausendern der Alpen, mit Ikonen wie dem Matterhorn oder dem Monte Rosa lockt sowieso jeden Bergbegeisterten ins zwar extrem kommerzialisierte, aber eben immer noch unübertrefflich gelegene Zermatt. Auch ich hatte schon länger den Wunsch einmal über die legendären Trails zu surfen, und so schlug ich meinem Vater vor, dass wir uns dieses Jahr mal mit dem Mountainbike für höhere Ziele vorbereiten. Es stand nämlich schon länger fest, dass wir Ende August mit Marko und Johannes im Wallis einige Hochtouren auf Viertausender angehen wollten, und so fuhren wir schonmal drei Tage vorher in die Schweiz, mit den Mountainbikes und jeder Menge Enthusiasmus im Gepäck.
Unser Ziel und andere Ortsnamen werde ich nach dem "BBS-Ehrenkodex" (siehe hier) nicht veröffentlichen. Denn diese Richtlinien der kleinen Sportlergemeinschaft haben neben allgemeinen Umweltschutzbestrebungen vor allem das Ziel für ein Konfliktfreies Miteinander von Bikebergsteigern und Wanderern zu sorgen. Das wird unter anderem dadurch erreicht, dass Tourdaten nicht veröffentlicht werden. Erstens sind die Wege eh meistens für Radfahrer gesperrt und zweitens begrenzt das den Kreis der Nachahmer auf diejenigen, die Erfahrung in den Bergen haben und mit Karte und Kompass umgehen können...

Unser Gipfel war uns mit seinen über 3300 Metern und fast 2000 zu bewältigenden Höhenmetern von Täsch aus zu viel für eine Tagestour, also packen wir noch Kocher und Biwakausrütung mit in die eh schon überquellenden Rucksäcke. Anschließend machen uns gemütlich auf den Weg ins autofreie Zermatt. Diese ersten zweihundert Höhenmeter können wir noch auf einer schlechten Asphaltstraße fahren, doch schon kurz nach Zermatt wird der Weg so steil, das wir absteigen müssen. Wir schultern die Bikes und schwitzen uns unter der Mittagssonne in der stickigen Talluft den Weg hinauf. Nach vierhundert Höhenmetern folgt der Weg nun einem Bach durch ein eng eingeschnittenes Tal, das Klima wird nun angenehmer zum Steigen. Wir überholen einige Wanderer und werden von vielen überholt, und jedes mal müssen wir erklären, warum wir die Fahrräder da hoch tragen, wobei man doch eh nicht auf den schmalen Wegen runterfahren könne. Wir erwidern, dass wir es trotzdem einmal versuchen werden...
Erfreulicherweise sind die Wanderer aber stets freundlich und wir begegnen uns respektvoll auf Augenhöhe, niemand kommt uns mit Verboten und Anzeigen. Wie aktuelle Beispiele aus der Steiermark oder dem Schwarzwald zeigen ist dies keineswegs selbstverständlich!
Nach weiteren fünfhundert Höhenmetern erreichen wir die Hütte, auch hier sind sofort alle Blicke neugierig und zum Teil ungläubig auf unsere Räder gerichtet. Wir müssen wieder die eingangs genannte Frage mehrfach und auf unterschiedlichen Sprachen beantworten. Nachdem wir schließlich noch von jedem fotografiert wurden machen wir uns wieder auf den Weg, wir wollen noch ein Stück aufsteigen und dann biwakieren. Kaum haben wir die Hütte hinter uns gelassen wird es schlagartig ruhig. Am späten Nachmittag sind die meisten Wanderer schon wieder verschwunden oder sitzen an der Hütte, und so haben wir die beeindruckende Bergwelt fast für uns. Mit jedem Schritt wird das Panorama eindrucksvoller: Das Monte Rosa Massiv liegt in seiner vollen Länge ausgebreitet vor uns, die anderen Zermatter Viertausender wie das Zinalrothorn oder das Obergabelhorn zeigen sich auch langsam und letztendlich taucht auch noch der König der walliser Panoramen auf, das Matterhorn.


Der Biwakplatz kann sich sehen lassen!

Als auf circa 2700 Meter Höhe das Gelände flacher wird schlagen wir etwas abseits des Weges unser Lager auf. Da es noch einige Zeit hell ist steige ich noch zweihundert Meter auf einen kleinen Hügel auf, während sich mein Vater am Zelt ausruht. So werde ich nicht nur mit einem weiteren Gipfel belohnt, sondern auch mit einer schönen Abfahrt ohne schweren Rucksack.

 Endlich Abendessen...

Als ich wieder zurückkomme fangen wir an zu kochen, aber immer wieder werden wir vom Schauspiel des Sonnenuntergangs unterbrochen. Die Viertausender leuchten in allen Facetten von Rot und Orange, Wolken ziehen um die eisigen Gipfel und das beste ist, wir haben das alles ganz für uns allein. Weit und breit ist kein Mensch, kein Zeichen von Zivilisation. Dadurch können wir kurze Zeit später auch den ungetrübten Blick in den Sternenhimmel genießen, anders als im lichtverschmutzten Flachland zeigen sich hier nämlich tausende von Sternen, die Milchstraße ist in allen Details zu erkennen und ab und zu fliegt eine Sternschnuppe vorbei.

 Die Milchstraße über dem Matterhorn.

Trotz dieses atemberaubenden Schauspiels müssen wir früh schlafen gehen, immerhin klingelt der Wecker am nächsten Morgen schon eine Stunde vor Sonnenaufgang. Nach einigen huntert Höhenmetern beginnt dann ein Schauspiel, dass noch ganze zwei Stunden anhalten sollte. Der Himmel war zwar erst Wolkenverhangen, doch nun reißt die Wolkendecke an einigen Stellen auf, rechtzeitig zum Sonnenaufgang. Und so können wir ein Lichtspiel der Berge beobachten und fotografieren, wie ich es nur wenige Male erlebt habe. Zuerst glüht die Nordwand des Matterhorns in tiefsten Orange, später leuchtet das Obergabelhorn in surreal diffusen Licht und bei der Aussicht auf das Weishorn sorgt schließlich eine vielschichtige Inversion für dramatische Stimmung.



Der Sonnenaufgang ist eine gigantisches Licht- und Wolkenshow.

Als wir auf knapp über 3100 Meter Höhe einen Sattel erreichen, schlägt uns eisiger Morgenwind entgegen. Mein Vater lässt hier sein Bike liegen und geht zu Fuß weiter, ich trage zwar weiter, bin mir aber unsicher ob ich den nun deutlich steileren und verblockten Steig wieder herunterfahren kann. Das ist eben die spannende Leitfrage beim Bikebergsteigen: "Alles fast fahrbar oder fast alles fahrbar...?"
Am Gipfel auf fast 3400 Meter bleiben trotz des immer noch starken Windes einige Zeit, zu beeindruckend ist die Aussicht, die bis ins Berner Oberland reicht. Wir kochen Kaffee (Ja, eine Espressomaschine passt in die meisten Flaschenhalter!) und ich fotografiere so viel ich nur kann.


Am Gipfel.

Die Abfahrt wir auf den ersten Metern ihrem Namen noch nicht gerecht, denn ich muss schieben. Zwar wäre der "Weg" an vielen Stellen noch grenzwertig fahrbar, allerdings ist mein Rucksack zu schwer für komplizierte Fahrtechniken, der Wind ist unberechenbar und das Gelände absturzgefährdet. Nach circa 130 Höhenmetern kann ich endlich auf die Pedale steigen. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten gewöhne ich mich an den Untergrund und finde Gefallen an der hochtechnischen Abfahrt.

Auf dem Vorderrad lässt es sich besser durch enge Spitzkehren zirkeln...

Wieder am Sattel angekommen steigt auch mein Vater aufs Rad und wir stürzen uns bei jetzt angenehmen Temperaturen auf die Trails. Trotz grober Stollenreifen rutschen wir über den berüchtigten walliser Schotter, doch sobald man es lieben gelernt hat "kontrolliert die Kontrolle zu verlieren" macht auch das Spaß. Wir halten einige Male an um Fotos zu machen, doch als der Trail flacher und schneller wird, entscheiden wir stillschweigend, dass dieser Teil wegen übertrieben geilen Flow amtlich zensiert wird...


Keine Worte, einfach Flow...
 
Am Zelt angekommen packen wir alles zusammen, die Rucksäcke werden wieder schwer. Dennoch kosten wir die folgenden 1200 Höhenmeter Abfahrt voll aus. Wir trauen uns immer mehr zu, und so fahren wir unter den ungläubigen Augen der Wanderer steile felsige Abschnitte und enge Spitzkehren, während am Rucksack Topf und Tassen klappern.

In Zermatt rollen wir noch ein paar Meter in die Fußgängerzone hinein, wo uns sofort ein Polizist aufgeregt zuwinkt und und auf schweizerisch ermahnt: "Sie wissen aber schon dass Sie hier nicht fahren chönnen, ja?" Wir nicken nur und steigen ab, aber mit einem stillen Lächeln denken wir uns: "Wenn du wüsstest wo wir überall fahren KÖNNEN..."