Mittwoch, 3. Dezember 2014

"Respekt, aber..." - Bikebergsteigen in Zermatt (Nachbericht)

"Respekt, aber... WIESO macht ihr das?!"
Dieser Frage haben sich wahrscheinlich schon viele Bergsteiger, Kletterer und andere Extremsportler stellen müssen. Und es ist immer das gleiche: Man sucht nach einer Begründung und muss dann verwirrt feststellen, das man es eigentlich selber nicht erklären kann. Also beschließt man, diese Frage in Zukunft möglichst zu meiden, was dann meistens auch ganz gut klappt. Meistens.
Im August mussten wir uns während einer zweitägigen Tour im Wallis dieser Frage grob geschätzte vierzig mal stellen. Okay, ich gebe zu wir haben auch etwas provoziert, schließlich sieht man es nicht all zu oft, dass zwei Verrückte ihre Mountainbikes 2000 Höhenmeter auf dem Rücken tragen...

Das Wallis lockt nicht nur Bergsteiger, sondern auch Mountainbiker.

Dabei ist das in der Randsportart Bikebergsteigen (BBS) durchaus legitim und üblich. Diese Form des Bergsteigens ist quasi das Skitouren gehen des Sommers: Man trägt statt der Ski ein Mountainbike den Berg hinauf, da die Wege - Wanderwege, Pfade und Steige - in aller Regel zu steil und zu uneben zum fahren sind. Ziel ist vor allem die Abfahrt über diese Wege, die extrem anspruchsvoll ist und mit sportlicher Herausforderung und natürlich jede Menge Spaß für die Strapazen des Aufstiegs entschädigt. Aber auch der Gipfel ist Ziel beim Bikebergsteigen, wodurch sich dieser Sport, abgesehen vom Tragen, vom klassischen Mountainbiken abgrenzt.

Zermatt bietet nun mit einigen der höchsten gletscherfreien Wanderbergen der Schweiz auch einige Herausforderungen für Bikebergsteiger. Immerhin reichen diese Ziele fast bis zu dreieinhalbtauend Meter hoch in den Himmel auf. Die fantastische Bergwelt mit einigen der höchsten Viertausendern der Alpen, mit Ikonen wie dem Matterhorn oder dem Monte Rosa lockt sowieso jeden Bergbegeisterten ins zwar extrem kommerzialisierte, aber eben immer noch unübertrefflich gelegene Zermatt. Auch ich hatte schon länger den Wunsch einmal über die legendären Trails zu surfen, und so schlug ich meinem Vater vor, dass wir uns dieses Jahr mal mit dem Mountainbike für höhere Ziele vorbereiten. Es stand nämlich schon länger fest, dass wir Ende August mit Marko und Johannes im Wallis einige Hochtouren auf Viertausender angehen wollten, und so fuhren wir schonmal drei Tage vorher in die Schweiz, mit den Mountainbikes und jeder Menge Enthusiasmus im Gepäck.
Unser Ziel und andere Ortsnamen werde ich nach dem "BBS-Ehrenkodex" (siehe hier) nicht veröffentlichen. Denn diese Richtlinien der kleinen Sportlergemeinschaft haben neben allgemeinen Umweltschutzbestrebungen vor allem das Ziel für ein Konfliktfreies Miteinander von Bikebergsteigern und Wanderern zu sorgen. Das wird unter anderem dadurch erreicht, dass Tourdaten nicht veröffentlicht werden. Erstens sind die Wege eh meistens für Radfahrer gesperrt und zweitens begrenzt das den Kreis der Nachahmer auf diejenigen, die Erfahrung in den Bergen haben und mit Karte und Kompass umgehen können...

Unser Gipfel war uns mit seinen über 3300 Metern und fast 2000 zu bewältigenden Höhenmetern von Täsch aus zu viel für eine Tagestour, also packen wir noch Kocher und Biwakausrütung mit in die eh schon überquellenden Rucksäcke. Anschließend machen uns gemütlich auf den Weg ins autofreie Zermatt. Diese ersten zweihundert Höhenmeter können wir noch auf einer schlechten Asphaltstraße fahren, doch schon kurz nach Zermatt wird der Weg so steil, das wir absteigen müssen. Wir schultern die Bikes und schwitzen uns unter der Mittagssonne in der stickigen Talluft den Weg hinauf. Nach vierhundert Höhenmetern folgt der Weg nun einem Bach durch ein eng eingeschnittenes Tal, das Klima wird nun angenehmer zum Steigen. Wir überholen einige Wanderer und werden von vielen überholt, und jedes mal müssen wir erklären, warum wir die Fahrräder da hoch tragen, wobei man doch eh nicht auf den schmalen Wegen runterfahren könne. Wir erwidern, dass wir es trotzdem einmal versuchen werden...
Erfreulicherweise sind die Wanderer aber stets freundlich und wir begegnen uns respektvoll auf Augenhöhe, niemand kommt uns mit Verboten und Anzeigen. Wie aktuelle Beispiele aus der Steiermark oder dem Schwarzwald zeigen ist dies keineswegs selbstverständlich!
Nach weiteren fünfhundert Höhenmetern erreichen wir die Hütte, auch hier sind sofort alle Blicke neugierig und zum Teil ungläubig auf unsere Räder gerichtet. Wir müssen wieder die eingangs genannte Frage mehrfach und auf unterschiedlichen Sprachen beantworten. Nachdem wir schließlich noch von jedem fotografiert wurden machen wir uns wieder auf den Weg, wir wollen noch ein Stück aufsteigen und dann biwakieren. Kaum haben wir die Hütte hinter uns gelassen wird es schlagartig ruhig. Am späten Nachmittag sind die meisten Wanderer schon wieder verschwunden oder sitzen an der Hütte, und so haben wir die beeindruckende Bergwelt fast für uns. Mit jedem Schritt wird das Panorama eindrucksvoller: Das Monte Rosa Massiv liegt in seiner vollen Länge ausgebreitet vor uns, die anderen Zermatter Viertausender wie das Zinalrothorn oder das Obergabelhorn zeigen sich auch langsam und letztendlich taucht auch noch der König der walliser Panoramen auf, das Matterhorn.


Der Biwakplatz kann sich sehen lassen!

Als auf circa 2700 Meter Höhe das Gelände flacher wird schlagen wir etwas abseits des Weges unser Lager auf. Da es noch einige Zeit hell ist steige ich noch zweihundert Meter auf einen kleinen Hügel auf, während sich mein Vater am Zelt ausruht. So werde ich nicht nur mit einem weiteren Gipfel belohnt, sondern auch mit einer schönen Abfahrt ohne schweren Rucksack.

 Endlich Abendessen...

Als ich wieder zurückkomme fangen wir an zu kochen, aber immer wieder werden wir vom Schauspiel des Sonnenuntergangs unterbrochen. Die Viertausender leuchten in allen Facetten von Rot und Orange, Wolken ziehen um die eisigen Gipfel und das beste ist, wir haben das alles ganz für uns allein. Weit und breit ist kein Mensch, kein Zeichen von Zivilisation. Dadurch können wir kurze Zeit später auch den ungetrübten Blick in den Sternenhimmel genießen, anders als im lichtverschmutzten Flachland zeigen sich hier nämlich tausende von Sternen, die Milchstraße ist in allen Details zu erkennen und ab und zu fliegt eine Sternschnuppe vorbei.

 Die Milchstraße über dem Matterhorn.

Trotz dieses atemberaubenden Schauspiels müssen wir früh schlafen gehen, immerhin klingelt der Wecker am nächsten Morgen schon eine Stunde vor Sonnenaufgang. Nach einigen huntert Höhenmetern beginnt dann ein Schauspiel, dass noch ganze zwei Stunden anhalten sollte. Der Himmel war zwar erst Wolkenverhangen, doch nun reißt die Wolkendecke an einigen Stellen auf, rechtzeitig zum Sonnenaufgang. Und so können wir ein Lichtspiel der Berge beobachten und fotografieren, wie ich es nur wenige Male erlebt habe. Zuerst glüht die Nordwand des Matterhorns in tiefsten Orange, später leuchtet das Obergabelhorn in surreal diffusen Licht und bei der Aussicht auf das Weishorn sorgt schließlich eine vielschichtige Inversion für dramatische Stimmung.



Der Sonnenaufgang ist eine gigantisches Licht- und Wolkenshow.

Als wir auf knapp über 3100 Meter Höhe einen Sattel erreichen, schlägt uns eisiger Morgenwind entgegen. Mein Vater lässt hier sein Bike liegen und geht zu Fuß weiter, ich trage zwar weiter, bin mir aber unsicher ob ich den nun deutlich steileren und verblockten Steig wieder herunterfahren kann. Das ist eben die spannende Leitfrage beim Bikebergsteigen: "Alles fast fahrbar oder fast alles fahrbar...?"
Am Gipfel auf fast 3400 Meter bleiben trotz des immer noch starken Windes einige Zeit, zu beeindruckend ist die Aussicht, die bis ins Berner Oberland reicht. Wir kochen Kaffee (Ja, eine Espressomaschine passt in die meisten Flaschenhalter!) und ich fotografiere so viel ich nur kann.


Am Gipfel.

Die Abfahrt wir auf den ersten Metern ihrem Namen noch nicht gerecht, denn ich muss schieben. Zwar wäre der "Weg" an vielen Stellen noch grenzwertig fahrbar, allerdings ist mein Rucksack zu schwer für komplizierte Fahrtechniken, der Wind ist unberechenbar und das Gelände absturzgefährdet. Nach circa 130 Höhenmetern kann ich endlich auf die Pedale steigen. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten gewöhne ich mich an den Untergrund und finde Gefallen an der hochtechnischen Abfahrt.

Auf dem Vorderrad lässt es sich besser durch enge Spitzkehren zirkeln...

Wieder am Sattel angekommen steigt auch mein Vater aufs Rad und wir stürzen uns bei jetzt angenehmen Temperaturen auf die Trails. Trotz grober Stollenreifen rutschen wir über den berüchtigten walliser Schotter, doch sobald man es lieben gelernt hat "kontrolliert die Kontrolle zu verlieren" macht auch das Spaß. Wir halten einige Male an um Fotos zu machen, doch als der Trail flacher und schneller wird, entscheiden wir stillschweigend, dass dieser Teil wegen übertrieben geilen Flow amtlich zensiert wird...


Keine Worte, einfach Flow...
 
Am Zelt angekommen packen wir alles zusammen, die Rucksäcke werden wieder schwer. Dennoch kosten wir die folgenden 1200 Höhenmeter Abfahrt voll aus. Wir trauen uns immer mehr zu, und so fahren wir unter den ungläubigen Augen der Wanderer steile felsige Abschnitte und enge Spitzkehren, während am Rucksack Topf und Tassen klappern.

In Zermatt rollen wir noch ein paar Meter in die Fußgängerzone hinein, wo uns sofort ein Polizist aufgeregt zuwinkt und und auf schweizerisch ermahnt: "Sie wissen aber schon dass Sie hier nicht fahren chönnen, ja?" Wir nicken nur und steigen ab, aber mit einem stillen Lächeln denken wir uns: "Wenn du wüsstest wo wir überall fahren KÖNNEN..."

Mittwoch, 5. November 2014

Trockener Humor - Chaostour durch die Wildspitz-Nordwand

"Nordwand". "Chaos". "trockener Humor"?! Wie passt das wohl zusammen? Also "Nordwand" lässt sich schnell erklären, das war schließlich auch ein sehr schneller Entschluss. Es hatte im Oktober immer wieder geschneit und dazwischen hatte die noch recht kräftige Sonne den Schnee auf den Ötztaler Eiswänden in guten Trittfirn umgewandelt, also beschlossen Florian und ich spontan: Wir gehen in den Herbstferien Nordwände klettern und eröffnen die (Touren-)Skisaison!
Soviel zu "Nordwand", für "Chaos" muss ich allerdings weiter ausholen...

Es fing ja schon an, als wir frühs in Mittelberg im Pitztal ankamen. Wir wollten mit dem Gletscherexpress ins Skigebiet Pitztaler Gletscher und mit der Gondel zum 3166 Meter hohen Mittelbergjoch fahren, das Ausgangspunkt für viele Ski- und Hochtouren im Taschachgebiet ist. Nicht zuletzt für die prominente 3770 Meter hohe Wilspitze. Unser Plan war nun, die bleischweren Rucksäcke - wir wollten immerhin drei Nächte auf dem Gletscher zelten und benötigten dementsprechend viel Material - am Joch zu deponieren und den restlichen Tag im Liftgebiet Ski fahren.

Schwer beladen mit ca 43 Kilo...

Nachmittags würden wir die Rucksäcke abholen, auf der anderen Seite des Jochs zum Gletscher absteigen und dort unser Lager beziehen.
Als wir jedoch frühmorgens lange vor der ersten Bergfahrt aus dem Auto stiegen, mussten wir schon feststellen, dass wir uns wohl mindestens eineinhalb Stunden in die lange Schlange von Liftbesuchern einreihen mussten. Und hier gab es dann schon das erste böse Omen, als ich im Gedränge einen Schneeteller vom Skistock verlor. Das mag zwar harmlos klingen, stellt beim Skitouren gehen, also wenn man mit Ski und Steigfellen auch bergauf geht, ein ernstes Problem dar, da der Stock beim Belasten nämlich einfach bis zum Griff im tiefen Schnee verschwindet. Naja, wird schon irgendwie gehen. Die Rucksäcke sind schnell deponiert, und voller Euphorie stürzen wir uns ins Skigetümmel auf die Piste. Das Wetter ist perfekt, die Pisten sowieso, und mein neuer Ski ist ein gigantischer Gewinn im Vergleich zum letzten.
Doch die Euphorie hält nicht allzu lange an, denn schon bald tauchen die nächsten bösen, diesmal deutlich bedrohlicheren Vorzeichen auf: Wir zeigen beide fortgeschrittene Symptome von Höhenkrankheit, immerhin reicht das Skigebiet bis in 3440 Meter Höhe auf. Wir ärgern uns, schließlich haben wir beide im Vorraus sehr viel getrunken, was Höhenkrankheit eigentlich effektiv vorbeugt. Vielleicht lag es auch an mangelndem Schlaf im Vorfeld, wir kamen beide direkt von einem anstrengenden Ausbildungswochenende der Bergwacht, und ein Endspurt zu meiner Seminararbeit mit diversen Nachtschichten hat der Sache mit Sicherheit auch nicht gut getan. Wie auch immer, die Symptome lassen ich nicht ignorieren. Wir haben Kopfschmerzen und Schwindel, außerdem verhalte ich mich fast wie betrunken. Also machen wir Pause am tiefsten erreichbaren Punkt, trinken so viel wir können - wir kommen auf über 12 Liter an diesem Tag! - und ruhen uns aus. Ein paar mal müssen wir solche Pausen machen, dennoch nutzen wir unser Liftticket aus und genießen den ersten Skitag der Saison.
Um halb viel haben wir genug, wir holen unsere Rucksäcke ab und fahren, besser gesagt rutschen zum Taschachgletscher hinunter. Ein kurzer Gegenanstieg bringt uns etwas abseits der üblichen Aufstiegsroute. Nun werden die Lawinenschaufeln ausgepackt und wir schaufeln mit großem Enthusiasmus einen windgeschützten Platz für unser Zelt, mit Ablagen für Ski und Kocher, ja sogar zwei Sonnenliegen werden in den Schnee moduliert - immerhin wollen wir ja drei Tage hier bleiben...

Fast wie Iglu-Bauen als wir noch Kinder waren.

Doch dann höre ich den Satz, den ich nie in den Bergen hören wollte. "Der Kocher geht irgendwie nicht..." Florian kämpft verzweifelt mit dem Benzinkocher, der uns in der Höhe und bei den kalten Temperaturen ja eigentlich zuverlässige Dienste leisten sollte. Schließlich gibt er mit starren Fingern auf ich versuche in der eisigen Abendkälte auch noch kurz mein Glück - keine Chance, der Kocher spuckt ab und zu kurze Brennstoffstöße aus, aber Druck lässt sich nicht in der Benzinflasche aufbauen und somit keine konstante Flamme erreichen. An Kochen ist nicht zu denken, ich krieche ebenfalls ins Zelt und wickle mich mit Schlafsack und Daunenjacke ein. Okay, die Nudeln werden schnell kalt gegessen, hilft ja eh nichts. Das große Problem ist vielmehr, dass wir keinen Schnee schmelzen können und somit nichts zu trinken haben. Das wäre aber geradejetzt dringend nötig, denn unsere Höhenkrankheit meldet ich wieder. Eigentlich müssten wir jetzt noch zweieinhalb bis dreieinhalb Liter trinken, vom Flüssigkeitsbedarf während den Touren ganz zu schweigen! Leider haben wir aber nur noch pro Person ca zwei Liter Wasser und außerdem einige Dosen mit Gerstenkaltgetränk, die eigentlich für gemütliche Abende im Basislager bestimmt waren. Wir beschließen, erstmal die Nacht hinter uns zu bringen, was auch ein fast endloses Unterfangen ist bei fast dreizehn Stunden Dunkelheit...
Am nächsten Morgen wachen wir bereits dehydriert mit pelziger Zunge auf, wir sind uns aber einig die Flüssigkeitsreserven zu nutzen um wenigstens eine der geplanten Touren anzugehen. Diskussionslos einigen wir uns sofort auf das Königsziel unseres Repertoires, die Nordwand der Wildspitze. Da wir beide Erfahrung mit Höhenkrankheit haben, wissen wir sehr genau, dass die Tour vom Zelt bis zum Gipfel eine einzige Quälerei werden würde, aber der Kampfgeist als Gegenspieler fletscht bereits die Zähne und so marschieren wir mit Tourenski los in Richtung Wand.


Der Zustieg zur Wand ist eigentlich nicht schwer, dennoch brauchen wir recht lange.

Unsere Vermutung bezüglich der Quälerei bestätigt sich quasi sofort, die Höhenkrankheit schlägt mit voller Wucht zu. Wir bewegen uns im Schneckentempo, eine Stimme hämmert unablässig im Kopf und erzählt verführerisch etwas von warmen Betten, Badewannen oder nur von der Sonne. Die sehen wir nämlich aufgrund der Ausrichtung der Hänge überhaupt nicht, obwohl wir sie uns nach der kalten Nacht doch so sehr wünschen...

Kurz vor dem Bergschrund.

Am Fuß der Wand steigen wir mit den Tourenski noch bis zum Bergschrund, also der Spalte, die das feste Eis der Wand vom fließendem Gletscher trennt. Hier halten wir an, die Ski wandern an den Rucksack und die Steigeisen an die Schuhe, Eisäxte werden gezückt und das Seil geordnet. Ich sollte eigentlich die erste Länge vorsteigen, danach wollten wir am laufenden Seil gehen. Also stapfe ich mal los richtung Bergschrund. Die Spalte zeigt sich eigentlich nur durch schwache Konturen im Schnee, da sie oberflächlich komplett mit grieseligem Pulverschnee zugeweht ist, doch sie zu überwinden ist gar nicht so einfach. Die Eisen greifen nicht im lockerem Schnee, und nachdem ich die Konturen der Spalte freigewühlt habe finde ich nur morsches Eis, das fast ebenso wenig Halt gibt. Zu allem Überfluss breche ich auch noch immer tiefer in die Spalte ein, doch nach einigen wenig eleganten Schwimmbewegungen habe ich dieses Hindernis endlich hinter mir. Nun geht es schneller voran, der Schnee ist relativ griffig und tief genug, sodass man nicht nur auf den Zehenspitzen steht und somit die Wadenmuskulatur nicht übermäßig anstrengen muss.

Die ersten Meter der Wand.

Allerdings ist der Schnee auch so tief, dass ich darunter kein festes Eis finden kann und somit keine Sicherung legen kann. Also hole ich nach der ersten Seillänge das Seil ein und lege es mir um die Schulter, wir gehen seilfrei. Dieser taktische Fehler - der uns allerdings überhaupt nicht auffiel - hatte zur Folge, dass ich durch den Rest der Tour mit dem Zusatzgewicht vom Seil und den ganzen Eisschrauben und Expressschlingen belastet bin.

Im steilen Mittelstück der Nordwand.

Im unteren Drittel steilt die Wand zwischenzeitlich ziemlich auf, was sich auch auf unsere Verfassung auswirkt. Wir gehen mittlerweile maximal fünf Schritte am Stück, danach folgt eine ebenso lange Verschnaufpause. Verlockend winkt der Westgrat herüber, zu dem wir jedezeit ohne großem Aufwand hinüberqueren könnten, doch diese Verlockungen werden nach kurzem Zähnezusammenbeissen sofort vom bereits erwähnten Kampfgeist verjagt (in Form eines mutierten Schäferhundes mit Drachenkopf, der genauso hungrig ist wie wir selber - und das ist SEHR hungrig).

Durch Höhenkrankheit und Erschöpfung kauerten wir öfter über den Eisgeräten und rangen um Luft, als dass wir wirklich kletterten...

Doch endlich wird die Wand flacher, was ich zunächst gar nicht bemerke. Erst als die Sonne meine Augen blendet dämmert es mir, dass das nur bedeuten kann, dass wir gleich am Gipfel sein müssen. Wir sammeln unsere Kräfte und rennen die letzten Meter zum flachen Gipfel (Außenstehende hätten dies eher als torkeln bezeichnet...)

Endspurt!

Handschlag am Gipfel, erst Rucksack fallen lassen, dann uns selber daneben. Wir sind überglücklich, nicht nur weil das unsere erste Nordwand war, sondern auch ob der überwundenen ungeplanten Schwierigkeiten. Und der Berg belohnt uns großzügig dafür. Wir sitzen im Schnee auf 3770 Meter Höhe in der Sonne, es weht nicht mal ein laues Lüftchen und das Panorama reicht von der Ortlergruppe über das Berninamassiv und die Silvretta zur Zugspitze und weiter über Stubaier und Zillertaler Berge bis zum Großvenediger. Im Süden steht die gesamte Skyline der Dolomiten zur Schau und hinter der Silvretta können wir sogar die Walliser Viertauender erkennen. Auch können wir es jetzt vertreten, die Flüssigkeitsreserven des Hopfenblütensafts zu nutzen. Allerdings hat Florian einige bedenken bezüglich der Kombination aus Alkohol und Höhenkrankheit, immerhin muss er später noch Auto fahren, und so liegt es an mir die Hülsenfrucht zu verzehren - was sich übrigens nicht auf die (im Normalfall sowieso eher fiktive) Eleganz meiner Skischwünge auswirkte.

Freude und Erleichterung am Gipfel, dazu Traumwetter und Panorama!


 Die Fernsicht ist gigantisch, wir lassen uns Zeit am Gipfel...

Nach der Gipfelrast machen wir uns fertig für die Abfahrt, den zwei Meter höheren Südgipfel der Wildspitze lassen wir aus - dort stand ich außerdem schon vor zwei Jahren ebenfalls mit Skiern.
Wir finden die fast 45° steile Rinne zwischen den beiden Gipfeln mit griffigen Firn vor, und so erlauben wir uns dieses skifahrerische Gourmetstück noch, wissend dass die weitere Abfahrt über den Taschachgletscher mangels Gefälle nicht so viele Schwünge bereithält. Florian fährt mit gekonnten Schwüngen durch den Hang, ich fotografiere von oben. Dann bin ich an der Reihe, doch den ersten Teil der Rinne rutsche ich noch seitlich ab, bis ich die unteren zwei drittel auch mit den ach so geliebten rhythmischen Skisportbewegungen hinter mich bringe.

Ganz ordentliche Rinne für den Saisonstart.

Der Adrenalinkick hält auch bis ins Basislager an, doch als wir dort ankommen ahnen wir bereits, dass die Geschichte noch nicht zu Ende ist.

Rückkunft am Basislager.
Nach kurzer Pause packen wir alles in die Rucksäcke und bauen das Zelt ab, uns steht noch der Aufstieg ins Mittelbergjoch bevor, wo wir wieder das Skigebiet betreten. Doch mit vierzig Kilo werden diese 90 Höhenmeter zur Quälerei, zumal hier der taktische Fehler zum tragen kommt, durch den ich immer noch alle Eisen und und das Sicherungsgerödel im Rucksack habe. Florian geht in seinem Tempo recht zügig den Hang hinauf, ich folge zunächst, doch die Höhenkrankheit hat mich vollends erwischt. Das Adrenalin ist längst verschunden und der Kampfgeist liegt stolz ob des bisher Geleisteten in seiner Hundehütte und kümmert sich um nichts mehr. Also wühle ich mich unter wüsten Flüchen den mittlerweile weichen Schnee hinauf. Ich gehe abschnittsweise, immer einen meiner zwei Rucksäcke zurücklassend, doch auch so komme ich kaum voran. Mittlerweile halluziniere ich fast durch die Höhe, die Welt schwankt irgendwo hinter einem Schleier aus Schweiß und Erschöpfung. Zwei Tourengeher überholen mich, ich stammle Erklärungen in denen ich die lauten Flüche mit meiner Rhöner Herkunft zu rechtfertigen suche, doch Florian hat zwischenzeitlich gemerkt, dass etwas nicht stimmte und kommt mir entgegen. Er nimmt einen meiner Rucksäcke, und so schaffen wir es endlich ins Joch. Für die 90 Höhenmeter haben wir fast eineinhalb Stunden gebraucht!

Von nun an geht es im Skigebiet bergab, auch das stellt angesichts unserer Beladung eine Herausforderung dar. Doch wir kommen mehr schlecht als recht an der Gondel an, die zum Glück kein Drehkreuz hat und mit der wir bis zur Mittelstation fahren können. Dort haben wir das Problem, dass wir keine Liftkarten haben (wir hatten ja Tageskarten), aber im Gletscherskigebiet werden an der Mittelstation logischerweise keine Karten verkauft. Nach einigen Diskussionen lassen uns die Seilbahnmitarbeiter angesichts unseres und vor allem meines Zustandes kostenlos ins Tal fahren. An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank dafür!

Nachdem wir etwas gegessen und getrunken haben fahren wir noch am selben Tag nach Hause, wo ich abends um zehn Uhr ankomme, in Bett falle und fünfzehn Stunden am Stück schlafe...


Fehlt eigentlich noch "trockender Humor". Nunja, Humor hatten wir zwischenzeitlich schon. Zum Beispiel durch die Tatsache, dass Viagra aus medizinischer Sicht eines der wichtigsten Medikamente zur Bekämpfung von Höhenkrankheit ist, sodass hier einige flache Witze über "Skihaserl" und co gerissen wurden.
Wieso der Humor "Trocken" war liegt aber natürlich nur im Flüssigkeitsmangel begründet...

Donnerstag, 23. Oktober 2014

Herbst in der Rhön

Der Herbst ist in voller Pracht in der Rhön. Ein sehr aussichtsreiches Biwak an der "Perle der Rhön", der 835m hohen Milseburg im hessischen Teil der Rhön ließ einige Bilder zustandekommen. Keine Geschichte diesmal, sondern nur ein paar Herbstimpressionen...



In zarten Pastellfarben geht die Sonne über der Wasserkuppe auf, dem höchsten Berg der Rhön.

 Hinter einer vom Wind zerzausten Buche liegt der Stellberg noch unter einem Dunstschleier.

Herbst in den Bergwäldern

  
Nachts leuchten die Lichter Fuldas bis in die Rhön hinauf.

 
Sonnenuntergang über den hessichen Rhönbergen.

Montag, 1. September 2014

Fotostory: 4000er im Wallis

 Kaum in Saas Fee angekommen fahren wir mit der Seilbahn auf 3100 Meter Höhe. Dabei haben wir riesiege Rucksäcke, Taschen und sogar Klappsessel. Immerhin wollen wir hier für drei Tage unser Basislager aufbauen, da darf es an Luxus nicht fehlen. An der Aussicht mangelt es schonmal nicht.

 Den Sonnenuntergang wie hier zu sehen beobachten wir entspannt aus den Klappsesseln heraus.

 Eine prächtige Licht- und Wolkenshow zwingt mich als Fotografen allerdings schnell wieder aus dem Klappstuhl.

 Wolkenfahnen wehen über den eisigen Gipfel des Doms. Rechts die Lenzspitze.

 Der Sichelmond geht perfekt hinter dem Nadelgrat in der nördlichen Mischabelgruppe auf. Die Kamera glüht mittlerweile.

 Nachts können wir den gigantischen Sternenhimmel der dunstfreien Hochgebirgswelt bewundern.

 Am nächsten morgen brechen wir zum Nordgrat der Weismiess auf (links im Bild). Zwei von uns kehren wegen Höhenproblemen angesichts des langen und nicht gerade leichten Weiterweges um.

 Ich stürze mich unterdessen auf den bildgewaltigen Sonnenaufgang hoch über dem Nebelmeer. Am Horizont ist die Bernina und der Monte Disgrazia zu erkennen.

 - ohne Worte -

 Trotzdem müssen wir los, zum Gipfel ist es noch weit.

 Der Grat bietet besten Fels und interessante Kletterstellen.

 Immer dabei: Das gigantische Panorama ins Engadin. Wie aus dem Flugzeug.

 Das Wetter wird bald düsterer. Unseren Spaß am bombastischen Kletterfels kann das Wetter uns allerdings nicht mehr nehmen.

 Über viele Grathöcker geht es nach oben.

 An der Schlüsselstelle, dem "roten Pferd", eine IV+ mit viel luft unter den Bergschuhen.
 Der Fels weiß immer mehr zu begeistern.

 Kurz vor dem Gipfel werden wir in dichten Nebel gehüllt, der uns bis kurz vor den Zelten auch nicht mehr loslassen sollte.

 Am nächsten Morgen brechen unsere zwei Tourabbrecher über den Normalweg zur Weismiess auf, während wir entspannt den Sonnenaufgang genießen. Über dem Nebelmeer thronrn Dom und Täschhorn.

 Wieder zieht ein beeindruckendes Wolkenkino auf.

 Durch die Wolkenfetzen leuchtet der Feegletscher herüber.

 Gerade als "unsere" Seilschaft kurz vor dem Gipfel ist, reisst es auf. Dennoch sind sie so geschafft, dass sie auch wegen Termindruck darauf die Heimreise antreten.




 Marko und ich dagegen wechseln ins benachbarte Zermatt, mit dem Plan, das Obergabelhorn über den Arbengrat zu besteigen. Leider überrascht uns im Arbenbiwak auf 3100 Meter Höhe ein Wintereinbruch, der 40 cm Neuschnee brachte.

 Geschlagen treten wir den geordneten Rückzug nach Zermatt an.

 Bei mittlerweile wieder bestem Wetter bieten sich so wenigstens einige Fotomotive an.

 Zum Beispiel auf das gegenüber liegende Matterhorn...

 ...oder auf den stark verschneiten Dent Blanche.

 Als Alternative fahren wir mit der Seilbahn aufs Klein Matterhorn und steigen zum Bivacco Rossi e Volante auf der italienischen Seite des Grenzkammes auf.

 Abends werden wir mit einer fantastischen Aussicht auf das Aostatal und den Gran Paradiso belohnt.

 Die kleine, kalte und ziemlich verdreckte Biwakschachtel liegt wie ein Adlerhorst auf 3800m Höhe auf einem Felsvorsprung. Im Tal leuchten Nachts sogar die Lichter Mailands herauf.

 Die Aussicht reicht bis zum weit entfernten Monviso, der wie Tolkiens "einsamer Berg" über den Seealpen thront.

 Auf der anderen Seite leuchtet im kitschigsten Alpenglühen die Duforspitze herüber, der höchste Gipfel der Schweiz und der zweithöchste der Alpen.

 Abenddämmerung bei bestem Wetter.


 Am nächsten Morgen brechen wir schon vor Sonnenaufgang zur Überschreitung des Breithorns auf. Im Hintergrung stehen Monte Rosa und Liskamm in der Morgendämmerung über ihren mächtigen Gletscherströmen.

 Die Traverse des Breithorns führt iber den langen Kamm des Berges. Dabei überschreitet man alle fünf Gipfel dieses Massivs, alle über 4000 Meter hoch. Fels und Schnee wechseln sich ab.

 Der Sonnenaufgang in über 4000 Meter Höhe ist jedes Mal ein fantastisches Erlebnis.

 Der Wind weht immer stärker, und so beschließen wir letztendlich, den letzten, wenn auch höchsten Gipfel auszulassen und steigen über eine steile Eisflanke zum Gletscher ab. Im Hintergrund sucht sich eine andere Seilschaft den Weg durch die Schneewelten.

Immerhin bietet sich so nochmal ein schönes Fotomotiv, der Blick reicht immerhin bis in die Apeninnen. Als wir unter dem Hauptgipfel des Breithorns zur Seilbahn zurückstapfen, sind wir angesichts der aberwitzigen Menschenkarawane auf dem Normalweg auch gar nicht mehr unglücklich über unsere Entscheidung.
Zufrieden mit der tollen Tourenwoche und mit vollen Speicherkarten machen wir uns auf den Heimweg.