Mittwoch, 29. Juli 2015

Hitzewelle? Kein Problem! - Die Nordwand der Hinteren Schwärze

Anfang Juli. Ganz Deutschland ächzt unter einer außergewöhnlichen Hitzewelle. In Kitzingen werden mit über 40°C die wärmsten Messwerte seit langen verzeichnet. Und wie immer schimpft jeder über das Wetter. Zu kalt, zu nass, zu neblig, zu grau, zu trocken und diesmal eben zu heiß.
Aber man muss ja nicht immer über das Wetter schimpfen, das bringt eh nichts außer allgemeine schlechte Stimmung. Vielmehr muss man beste draus machen, also bei Hitze eine Abkühlung suchen.

Wir haben an diesem heißesten aller Wochenenden eine solche gefunden. Und zwar im hintersten Ötztal, in der Nordwand der Hinteren Schwärze. Normalerweise ist das Klettern in einer Nordwand geprägt von dicken Jacken, Kälte und tauben Fingern. Wir erhoffen uns stattdessen angenehme Temperaturen, also fahren wir Samstag früh nach Vent, dem Ausgangspunkt für diese Tour.
Der erste Teil des Zustiegs besteht aus dem langen Talhatscher durchs Niedertal zur Martin-Busch-Hütte. Bis hierhin führt ein breiter Schotterweg hinauf, deshalb wollen wir bis zur Hütte die Mountainbikes mitnehmen, fahrend und schiebend, um den langen Abstieg auf eine angenehme halbe Stunde zu verkürzen. Allerdings wollen wir auch nicht auf der Hütte übernachten, schließlich hat man bei einer Hüttenübernachtung "nur den halben Berg". Man bringt sich damit um das Erlebnis einer Übernachtung im Hochgebirge, außerdem bleibt mit einem leichten Hüttenrucksack immer der Beigeschmack, den Berg nicht aus eigener Kraft bezwungen zu haben.

Im Umkehrschluss ächzen wir dafür aber natürlich beim Zustieg unter großen schweren Rucksäcken. Wir sind trotz des gut fahrbaren Weges kaum schneller als Andere zu Fuß, dafür fallen wir mit den Mit Seil, Eisgeräten und Isomatten behängten Rucksäcken umso mehr auf. An der Hütte angekommen schließen wir die Fahrräder zusammen und machen uns zu Fuß auf den Weg zum Marzellferner. Die Warnhinweise "Achtung Bergsturzgefahr! Weg gesperrt" ignorieren wir genauso beflissen wie alle Aspiranten der Hinteren Schwärze in den vergangenen Jahren. ach einer dreiviertel Stunde dann öffnet sich endlich der Blick zur Zunge des Marzellferners, die traurig tief unter den Moränen liegt. Darüber thront immer noch majestätisch der Similaun, allerdings mit seiner mittlerweile traurig braunen statt weißen Nordwand. Klimawandel lässt grüßen.


Wir folgen dem Pfad ein Stück weiter, bis er uns auf das Eis führt. Wir überqueren noch zwei Mittelmoränen und bauen dann auf einem ebenen Plätzchen unser Zelt auf, zur Verankerung im Blankeis müssen die Eisschrauben herhalten. Wenigstens zeigt hier jetzt die Hitze der letzten Tage ihre freundliche Seite, wir müssen nicht Schnee schmelzen, sondern können uns ganz entspannt an einem der vielen oberflächlichen Schmelzwasserbäche bedienen. Obwohl die Sonne bereits hinter dem Marzellkamm verschwunden ist frieren wir nicht, wir sitzen entspannt mit dünnen Klamotten vor dem Zelt und lauschen dem Surren des Benzinkochers, während über dem Schalfkogel ein abendliches Wärmegewitter tobt. Nachdem wir noch kurz unsere nun deutlich leichteren Rucksäcke gepackt haben - das meiste bleibt morgen im Zelt - legen wir uns Schlafen, immerhin habe ich den Wecker auf halb fünf gestellt.
Nach einer kurzen Nacht reisst uns der Wecker "schonend" mit Metallica aus dem Schlaf. Draußen liegt bereits ein erster Saum der Dämmerung über dem Horizont, während ich einen ganzen Liter Kaffee koche. Ein halber Liter wandert in die Thermoskanne für später, den Rest trinken wir gleich. Derart gestärkt rennen wir nun den Gletscher empor, den Gletscherbruch lassen wir auf der rechten Seite liegen. Laut AV-Karten und Tourenbeschreibung umgeht man ihn zwar eigentlich auf der anderen Seite, doch wieder zeigt sich hier der Klimawandel. So geht es mittlerweile auf dem linken Gletscherrand entspannt und Spaltenfrei nach oben. Nach einer Kuppe taucht endlich unser Ziel auf, doch die Nordwand zeigt sich zur Hälfte mit Blankeis. Wir entscheiden, dem schwach ausgeprägten Sporn in der Wandmitte zu folgen, hier reicht der Trittfirn offenbar recht weit nach oben.



Nachdem schließlich auch der letzte Teil des Zustiegs hinter uns liegt pausieren wir kurz am Wandfuß. Eisäxte zücken, Zähne fletschen und natürlich die Thermoskanne mit Kaffee leeren. Die untere Wandhälfte mit mäßiger Steigung um 50° und Trittfirn gehen wir seilfrei, sichern wäre hier nur unnötige Zeitverschwendung. Allerdings habe ich mir unter weiser Vorraussicht schon das Seil um die Schulter gelegt, die Schrauben baumeln bereits ohne Schutzkappe am Gurt.






Denn nach etwa zweihundert Metern stoßen die Frontalzacken der Steigeisen auf hartes Blankeis. Auch steilt die Wand jetzt deutlich auf, die Steigung beträgt etwa 60°. Also nehme ich das Seil von den Schultern, wir binden uns ein. nachdem wir einige Zeit am laufenden Seil geklettert sind hinterlasse ich zwei Eisschrauben als Standplatzsicherung und tanze vorsichtig auf den Spitzen der Frontalzacken nach oben. Wir haben nur fünf Eisschrauben dabei, das bedeutet ich kann in einer Seillänge auf 60 Meter nur eine Zwischensicherung legen. Egal, Stürzen ist ja eh tabu in den Bergen, also ignorie ich das Seil vollkommen. Das Eis ist hart, aber kein bisschen spröde. Das Einschlagen der Eisgeräte ins Eis erfolgt jedes mal mit einem herrlich dumpfen tacken. Nachdem ich einige Felsen umkurvt habe baue ich in einem steilen Couloir wieder einen Stand und sichere nach. Was für eine Entspannung für die Waden.



Doch gleich darauf muss ich wieder vorsteigen, ich habe den besseren Trainingszustand und die schärferen Eisgeräte. Na gut, macht ja auch Spaß. Nach zwei weiteren 30-Meter-Runouts lehnt sich die Wand zurück, sie ist wieder Firnbedeckt. Nachdem ich einen gefühlten Kubikmeter Schnee nach unten gewühlt habe kann ich einen letzten Stand bauen. Die Schrauben gleicheeinfach mit dem Seil aus, denn Sichern ist jetzt eh nicht mehr nötig. Vom Gipfel trennen uns noch circa 80 Höhenmeter, doch auch die haben wir schnell hinter uns gebracht. Als kleines Finale wartet noch der brüchige, ausgesetzte Gipfelgrat auf uns, dann können wir uns am Gipfelkreuz die Hände schütteln.








Nachdem wir das Gipfelpanorama ausgekostet haben machen wir uns auf den Rückweg über den Normalweg. Im mittlerweile aufgeweichten Sulz des Gletschers geht es zügig zum Zelt hinab. Nachdem wir das Zelt abgebaut haben und alles in den nun wieder schweren Rucksäcken verstaut haben folgt noch der üble Gegenanstieg über den Marzellkamm, bevor wir an der Hütte auf unsere Räder steigen und der Hitze im Tal entgegenrollen.

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